Freitag, 29. Juni 2012

EM-Tagebuch: Ach, Mario

Menschen, die mich näher kennen, wissen, dass ich seit einiger Zeit eine gewisse Bewunderung für Mario Balotelli hege. Ach was, ich will ihn heiraten. Ich will am Abend zuhause sitzen und darauf warten, dass er nachhause kommt und mir erzählt, was er an dem Tag wieder angestellt hat. Ich halte ihn für den unterhaltsamsten Profi unserer Zeit. Und ganz nebenbei natürlich auch für einen grandioser Fußballer.

Ich habe während dieser EM viel mit Italienern diskutiert. Eine Frage, die immer aufkam, war "Balotelli  oder di Natale im Sturm?". Während die Italiener fast geschlossen der Meinung waren, Balotelli würde sein Potential nicht abrufen und di Natale wäre die weitaus bessere Variante, habe ich ihnen stets widersprochen. Denn allein Balotellis körperliche Vorteile begründen schon seine Aufstellung. Während seine Mitspieler, nun ja, eher italienisch gebaut sind, besticht er durch eine Bulligkeit, die es ihm erlaubt, sich auch gegen große, böse, furchteinflössende Abwehrspieler ohne größere Probleme durchzusetzen. Gepaart mit seiner Qualität am Ball, macht ihn das zu einer der größten Waffen, die das italienische Team besitzt.

Das weiß Trainer Prandelli und das weiß seit gestern auch die deutsche Nationalmannschaft. Das hätte ihnen aber auch mal jemand früher sagen können. Naja, zumindest können wir nicht wieder Zweiter werden. Die Bayern-Spieler dürfte es freuen.

Für mich stellt sich nach dieser Saison allerdings die Frage, weshalb die Teams, die ich unterstütze stets in den wichtigen Spielen versagen. Seriously, why always me?

Donnerstag, 28. Juni 2012

EM-Tagebuch: Ghupft wia gsprunga

Gehüpft wie gesprungen. Völlig egal. Einfach nur wurscht. Das ist es.

Ich hatte noch kurze Zeit gedacht, ich hätte lieber Portugal im Finale gesehen als Spanien. Dieses fixe Idee war aber eher aus einer diffusen Angst heraus geboren, Deutschland könnte gegen Spanien eine erneute Schmach erleiden. Jetzt muss ich mit einem Schulterzucken sagen: Eh. Nach dem gestrigen Halbfinale der Spanier gegen die Portugiesen muss nämlich festgehalten werden, dass beide auf dem gleich hohen Niveau gleich wenige Torchancen fabriziert haben. Beide standen sich gegenseitig mehr auf den Füßen herum, als man das von ihnen sonst gewohnt ist und beide konnten gestern eigentlich kaum überzeugen. Auf sehr hohem Niveau.

Für die Deutschen (oder die Italiener, ich will ja nicht zu überheblich wirken) war das gestrige Spiel eine interessante Lehrstunde im Zerstören des spanischen Tiki-Taka-Fußballs. Wo man sich scheinbar weiter genüsslich zurücklehnen kann, sind Ecken aller Art. Nur auf eines gilt es Rücksicht zu nehmen, langsam aber sicher sind sich die Spanier nicht mehr zu schade auch aus der zweiten Reihe zu schießen. Bisher kommen die Bälle zwar noch nicht an, aber sie haben ja noch bis Sonntag Zeit zu üben.

Und dann haben die Spanier tatsächlich noch einen Trumpf im Ärmel: Fernando Torres. Gestern von Trainer Vincente del Bosque schmählich auf die Bank verbannt, wo er die gesamten 120 Minuten mit einem derart angefressenen Gesicht vor sich hin miesepeterte, könnte er im Finale der entscheidende Faktor sein. Verwundete Tiere sind bekanntlich am gefährlichsten und ich könnte mir vorstellen, dass del Bosque auf eine Trotzreaktion des schönen Fernandos für das Finale hofft. Wenn das klappt, wäre es ein psychologischer Geniestreich gewesen. Vielleicht lässt er ihn aber auch ganz draussen. Bei diesen Trainerfüchsen weiß man ja nie.

Und während sich Christiano Ronaldo noch die Tränen trocknet, muss die deutsche Nationalmannschaft heute Abend erstmal Rache nehmen für 2006. Ich habe Angst.

Dienstag, 26. Juni 2012

EM-Tagebuch: Was zu erwarten war

Also ich muss schon sagen, diese EM hält wirklich keine großen Überraschungen bereit. Der einzige "Aussenseiter", Griechenland, wurde von der deutschen Mannschaft aus dem Turnier gekegelt. "We paid for your tickets", sollen die deutschen Fans ihren griechischen Gegenstücken laut englischer Presse an den Kopf gesungen haben. Auch das ist wenig überraschend.

Die englische Mannschaft jedoch übertrifft was das Erfüllen von Erwartungen angeht, alle Erwartungen. Sie tut nämlich genau das, was von einer englischen Nationalmannschaft erwartet. Vor jedem großen Turnier übertreffen sich die englischen Medien mit Tiefstapelei. Jedes noch so kleine Detail, das gegen einen Erfolg der "three lions" sprechen könnte, wird herausgesucht, jede noch so unwichtige Statistik bemüht. Die englische Mannschaft startet dann holprig, jedoch bemüht in das Turnier und gewinnt mindestens zwei der drei Gruppenspiele. Glücklich zwar, aber immerhin.

Genau dieses Glück stimuliert im Gegenzug die Presse ihren Kurs zu ändern. Vielleicht hat all die Jahre einfach das Glück gefehlt? Das wäre eine Erklärung, denn man hatte ja nie eine schlechte Mannschaft. In einem Londoner Pub wird mir erklärt, das Glück komme immer gebündelt. Erst habe man sich gegen Frankreich im Rennen um die Olympischen Spiele durchgesetzt, dann gewinnt mit dem FC Chelsea eine englische Mannschaft die Champions League (es schmerzt immer noch) - der Gewinn der Europameisterschaft wäre nur eine logische Konsequenz dieses "streak of luck".

Womit wir am Tag des Viertelfinales angekommen sind. Es geht gegen Italien. Ein Team, das bisher auch nicht glänzen konnte, aber immerhin einen großen Namen hat - so jedenfalls die gängige Meinung auf den Straßen Londons. Die Stimmung ist angespannt. Zuviel Optimismus wird so kurz vor Anpfiff dann doch nicht gerne gesehen. Auch die BBC, die das Spiel überträgt, versucht sich als Stimmungsdämpfer. Zu Beginn werden all jene Bilder gezeigt, die Englands Ausscheiden in diversen Viertelfinals der EM zeigt. Man sieht weinende Männer, leere Blicke, verschossene Elfmeter. Fast möchte man weinen. Dann ein Lichtblick. Der Moderator kündigt Bilder der Triumphe an. Doch im selben Atemzug folgt der Dämpfer: "We had to go a bit further back into the past for that." England hatte also seine "glory days", sie liegen nur wahnsinnig weit in der Vergangenheit. So erzeugt man Euphorie.

Niemand singt im Pub. Es sind leise Stimmen zu hören. Die Chancen der Engländer werden mit dem nötigen Ernst diskutiert. Die kleine italienische Meute, die sich ebenfalls im Pub eingefunden hat, macht einen deutlich optimistischeren Eindruck. Jürgen Klinsmann ist Experte im englischen Fernsehen. Sachen gibt's.

Dann beginnt das Spiel. Nach den ersten 45 Minuten hat man das Gefühl, für England wäre tatsächlich noch alles drin. Rooney & Co. spielen überraschend gut. Doch schon in Hälfte zwei, so um die 60. Minute herum, geben sie das Spiel aus der Hand. Es wird mir immer ein Rätsel bleiben, weshalb Mannschaften manchmal einfach aufhören Fußball zu spielen. Ohne ersichtlichen Grund. Einfach so.

Englands Trainer Roy "die Eule" Hodgson versucht dem Elend entgegenzusteuern. Eigentlich als "saftey-first-Roy" verschrien, bringt der sonst so sicherheitsbewusste Hodgson Offensivkraft um Offensivkraft auf das Feld. Doch auch Carroll und Walcott können nicht verhindern, dass England in das gefürchtete Elfmeterschießen muss. Und dabei können sie eigentlich noch von Glück reden. Wie es ein italienischer Fan sehr treffend beschrieben hat: "When they had the ball, they looked like ladies going shopping. They didn't run anymore." Ein Zug zum Tor sieht in der Tat anders aus. Klinsmann macht übrigens die fehlende Fitness verantwortlich. Aber auch das ist nicht überraschend.

Das Ende vom Lied: England verliert im Elfmeterschießen, wie sie schon so viele Elfmeterschießen verloren haben. Die englischen Fans verlassen fluchtartig das Pub, während die Italiener mit südländischer Ausgelassenheit feiern. Im Weggehen raunt mir ein Engländer zu: "I'm supporting Germany now..."

Samstag, 23. Juni 2012

EM-Tagebuch: Das ging aber schnell

Kaum ist man mal ein paar Tage weg, schon steht Deutschland im Halbfinale der Europameisterschaft. Falls sich tatsächlich irgendjemand gewundert haben sollte, wo ich abgeblieben bin, ich war wandern. In Cornwall. Schön entlang der Küste. Das ließ sich solange mit der EM vereinbaren, wie ich in größeren Orten übernachtete, denn dort kann man auch Fußball schauen. Problematisch wurde es, als ich mich im letzten englischen Hinterland wiederfand, ohne Fernseher, ohne Handyempfang und mit dem Wissen, dass zur selben Zeit, in der ich mir zwangsläufig den Sonnenuntergang über dem Atlantik anschauen musste, England gegen die Ukraine ums Weiterkommen kämpfte. Folter.
Aber das liegt nun hinter mir, befinde ich mich jetzt doch in London. Einer Stadt, die vermutlich mehr Fernseher als Einwohner hat, und kann jedes Spiel gemütlich in einem Pub meiner Wahl verfolgen.

Gestern also das Spiel der Deutschen gegen Griechenland. Die Aufstellung für jemanden, der seit einer Woche keine Zeitung mehr in der Hand hatte, gelinde gesagt, überraschend. Gut, mit Klose hatte ich fast gerechnet, nachdem Mario "the pelvis" Gomez leider gegen Dänemark nicht getroffen hat, aber Schürrle und Reus in der Startelf hat mich dann schon ein bisschen aus den Socken gehauen. Geb ich hier ganz offen zu.

Die zweite Überraschung - wobei, vielleicht passt das Wort "Auffälligkeit" besser - die zweite Auffälligkeit des Abends war für mich die grandiose Leistung der Madrid-Spieler. Sami Khedira und Mesut Özil nahmen teilweise im Alleingang die griechische Abwehr auseinander. Äußerst beeindruckend. Zusammen mit der guten Leistung von Marco Reus und dem Tor von Miro Klose gerät mein schönes rotes Weltbild ganz schön ins Wanken. Die Nationalmannschaft auch ohne Bayern-Block erfolgreich? Sachen gibt's...

Freitag, 15. Juni 2012

EM-Tagebuch: You're still singing - how the Irish captured my heart

Es ist zwar ein wenig verfrüht, aber ich möchte schon an dieser Stellen den Preis für die besten Fans dieser EM vergeben. And the award goes to...Trommelwirbel...the Irish.

Es fällt mir schwer irgendetwas annähernd sinnvolles über den 4:0-Sieg der Spanier gegen die irische Nationalelf zu sagen, denn ich war von den engelsgleichen Chören, die über die gesamten 90 Minuten durch das Stadion hallten, derart gepackt, dass ich dem Spiel kaum Aufmerksamkeit schenkte.

Und das ging scheinbar nicht nur mir so. In den letzten Minuten des Spiels war von dem Publikum im Stadion keinerlei Reaktion  mehr auf das Geschehen auf dem Platz zu hören. Spanien kam gefährlich vor das Tor, doch nicht mal ein Raunen entwich den Lippen der Zuschauer. Viel zu packend war die Demonstration irischer Lebensfreude, die sich da in ihren Ohrmuscheln entfaltete. Dabei sein ist alles - ein Motto, das eigentlich mit den Olympischen Spielen assoziiert wird - von den irischen Fans in Perfektion vorgelebt.

Das Lied, das so enthusiastisch zelebriert wurde, heißt übrigens "Fields of Athenry" und handelt von der irischen Hungersnot zwischen 1846-1849.  Hier zum Nachhören.

Ihrem Trainer haben die Iren auch ein Lied gewidmet: "Once he was Italian, but he's Irish now. Ohhh Trapattoni"

Und wer jetzt immer noch nicht von den irischen Fans überzeugt ist, der nehme das! Humor haben sie nämlich auch noch:


Donnerstag, 14. Juni 2012

EM-Tagebuch: Hab ich's nicht gesagt.

Hab ich's nicht gesagt. Der Gomez. Was für ein Stürmer! Diese Drehung vor dem ersten Tor, der helle Wahnsinn! Mit einer Leichtigkeit, die seinesgleichen sucht. Wusste Mehmet Scholl etwa, dass dieser Gomez so reagieren würde auf diesen derart zugespitzt formulierten Spruch mit dem wundliegen. Wusste er es? Hat ihm Uli Hoeneß eingeflüstert: "Hey Scholli, bring mal so nen Spruch, dann schießt der Mario Deutschland zum Europameistertitel."? Es ist fast anzunehmen.

Was muss es für eine Genugtuung gewesen sein für den Gomez. Der Torschützenkönig der Bundesliga, Klaas-Jan Huntelaar bei den Niederländern nur auf der Bank, und er, er schießt einfach mal schnell zwei Tore. Und nach hinten hat er auch gearbeitet. Jetzt ist es vorbei mit Vize-Gomez. Gurken-Gomez ist tot.

Ui, da packt sogar mich die Euphorie so ein bisschen. Und das, wo ich doch überzeugte Vereinsfußball-Anhängerin bin. Aber ich hab ein gutes Gefühl. Und das will ausgekostet werden, solange es anhält.

Mittwoch, 13. Juni 2012

EM-Tagebuch: Scholli gegen Mario

Es ist das Duell der Herzensbrecher. Mehmet "Scholli" Scholl gegen Mr Oben-Ohne himself, Mario Gomez. Der Scholli war der erste Feldspieler, dessen Nummer meinen Rücken zierte. Sein schelmisches Grinsen und diese Lausbuben-Zähne haben mich stets in Wallung versetzt. Egal, was aus diesem Mund kam, ich wollte ihm uneingeschränkt recht geben. Das ging solange gut, wie Mehmet Scholl als aktiver Spieler tätig war und seine Aussagen zwar lustig, aber nicht von fußballerischer Brisanz waren.

Mein Lieblingszitat bis heute: "Eng."  (Auf die Frage wie es war, als Bundeskanzler Helmut Kohl die Europameister von 1996 in der Kabine aufsuchte.)

Doch nun ist aus Scholli Herr Scholl geworden. Er ist jetzt ARD-Experte und das macht ihn zu meinem natürlichen Feind. Über Experten hat man sich als Fan aufzuregen, weil sie selten das sagen, was man selbst denkt. Oder wenn man als Fan dasselbe gedacht hat, dann denkt man lieber mal ganz hurtig um.

Zu Mario Gomez hatte ich bisher kaum etwas, das man eine differenzierte Meinung nennen könnte. Ich begeisterte mich für seine Fähigkeit mit sämtlichen Teilen seines Körpers Tore erzielen zu können, machte mich über seine Frisur lustig und bewunderte sie doch insgeheim und war, wie es sich für ein Mädchen gehört, nicht unbeeindruckt von seinem Oberkörper. Vor allem, wenn ihm die Hose fast schon zu weit unten hängt. Was für eine Beckenpartie! Achja und ich halte ihn tatsächlich für den besten deutschen Stürmer derzeit. Punkt.

Es verblüfft mich, dass es der arme Kerl, wenn es um die Nationalmannschaft geht, scheinbar niemandem Recht machen kann. 2008 noch als "Gurken-Gomez" verspottet, schießt er nun endlich sein erstes Tor bei einem großen Turnier, köpft Deutschland zum Sieg gegen Portugal und wird dennoch kritisiert. Also ich wäre ja sowas von stinkbeleidigt, wenn ich der Gomez wäre. "Macht doch eure Scheiß-Tore allein", würde ich rufen und meine Fußballschuhe nach allem werfen, was sie bewegt. Ich würde mir eine Dartscheibe kaufen und Scholls Bild darauf kleben und dann immer ordentlich drauf zielen. Aber ich bin nicht Gomez. Der wirkliche Gomez bleibt cool und sagt  "Ich wüsste nicht, warum ich mich ändern sollte". Recht hat er.

Dieses Mal brauchen wir einen Mario Gomez, der zwar manchmal so wirken mag, als würde er sich "wundliegen" (So ein Schmarrn, Scholl. Also wirklich.) bzw. der manchmal nicht zu hundert Prozent ins Spiel eingebunden ist, aber dennoch, wenn es darauf ankommt, das Tor macht und damit mir und allen anderen Fans den Tag rettet. Sollte die Zeit des Hurra-Fußballs der deutschen Nationalmannschaft tatsächlich vorbei sein, es könnte die Zeit des Mario Gomez anbrechen.






EM-Tagebuch: Was ich noch zu sagen hätte...

zum Spiel Italien - Spanien: 

Was macht denn nur der Torres da? Den muss er doch machen! Aber natürlich, "Torres macht immer dasselbe. Legt sich den Ball vor und will dann rechts vorbei. Als Weltklassetorhüter musst du das wissen" (O-Ton Oliver Kahn). Hat mir meinen Tipp versaut, der Torres.

zum Spiel Irland - Kroatien: 

Hach, der Trapattoni. Dieser Mann kann mir an noch so schwarzen Tagen jederzeit ein Lächeln auf die Lippen zaubern. Das nützt ihm aber natürlich herzlich wenig, wenn die irische Mannschaft sich weigert, wie ordentliche Italiener zu spielen. Drei Gegentore. The cat is so not in the sack right now.

zum Spiel England - Frankreich: 

Was hatte ich mich auf dieses Spiel gefreut. Ich war mir sicher, es würde "bloody" werden. Kein Rasenschach, ehrlicher Fußball. Ein Spiel, bestimmt vom Kampfgeist und hochkochenden Emotionen. Ich hatte dabei einen Faktor sträflicherweise außer Acht gelassen: Wayne Rooney, mein Herzensmensch, ist gesperrt. Es war kein schlechtes Spiel. Jedenfalls war es nicht so schlecht, wie es der Kommentator dargestellt hat: Ein Hauch von Gijon läge über diesem Spiel, die Mannschaften hätten sich mit dem Unentschieden abgefunden. Ich bin mir sicher, beide Teams hätten den Sieg allein aus Prestigegründen gerne mit nach Hause genommen. Haben sie aber nicht. Deshalb bleibt von diesem Spiel nur ein wahnsinnig schlechter Witz: Kennst du Wayne? - Rooney? - Nein, Wayne interessierts.
Ach, geschrieben wirkt er noch schlechter. Egal.




Sonntag, 10. Juni 2012

EM-Tagebuch: Tag zwei. Teil zwei. Wo ist die Euphorie?

Eigentlich hat die EM erst heute richtig begonnen. Erst heute hat die deutsche Nationalmannschaft gespielt. Zwar habe ich gestern schon mit den Polen gezittert und mit den Tschechen gelitten, aber das Match der DFB-Elf spielt in einer emotional völlig anderen Liga.

Dachte ich. Es scheint fast, als hätte mich das Champions-League-Finale emotional ausgelaugt. Die Gefühle, sie sind alle da, jedoch in arg abgeschwächter Form. Ich juble, aber nicht so ausgelassen. Ich stöhne bei vergebenen Torchancen auf und fahre bei schlechten Abspielen aus der Haut. Aber ich atme normal. Das macht aber gar nichts.

Zwar hat die deutsche Nationalmannschaft kein Feuerwerk abgebrannt, wie man es von den ersten Spielen der letzten drei großen Turniere gewohnt war, dennoch war ich von der Art und Weise des Auftretens der Mannschaft durchaus angetan. Es ging immerhin gegen Portugal. Was man so hört, sollen die ja einige ganz sinnvolle Fußballer in ihren Reihen haben. Ewiger Pessimist, der ich mir antrainiert habe zu sein, hatte ich zuvor sogar auf ein Unentschieden gesetzt.

Der 1:0-Sieg der deutschen Mannschaft war kein großartiger Sieg, der die Menschen von ihren Stühlen reißt, das Land in eine Euphorie stürzt und alle Bedenken hinweg wischt. Aber vor allem die Verteidigung, die ja gemeinhin durchaus als Sorgenkind gelten konnte, stand heute ihren Mann. Ich für meinen Teil wäre glücklich darüber, die deutsche Mannschaft jedes Mal derart konzentriert  und kämpferisch erleben zu dürfen und wenn sie sich nur mit 1:0-Siegen zum EM-Titel kämpfen. Dass Schönspielerei zwar äußerst nett anzusehen ist, aber nicht zwangsläufig zum Erfolg führt, hatte man beim 1:0-Sieg der Dänen über die Niederländer eindeutig demonstriert bekommen.

Ich brauche kein weiters Sommermärchen. Drei Vize-Titel in diesem Jahr reichen mir. Ich will ein Erfolgserlebnis. Und wenn das bedeutet, dass eine offensichtlich gereifte deutsche Mannschaft nicht durch Hurra-Fußball Dritter wird, sondern mit effektivem, beizeiten natürlich auch ansehnlichem Fußball mir dieses Erfolgserlebnis beschert, werde ich die letzte sein, die sich zurück ins Jahr 2010 wünscht.

EM-Tagebuch: Tag zwei. Teil eins.

Die EM hat begonnen, wie sie eigentlich nicht beginnen sollte: Mit Punktgewinnen für die Mannschaften, für die ich keinerlei Sympathien pflege und mit Menschen, die sich außerhalb der großen Turniere einen feuchten Kehricht um "the beautiful game" scheren.

Für mich ist Polen ein Favorit auf den Titel, dementsprechend enttäuscht war ich, als es gegen Griechenland nur zu einem 1:1 gereicht hat. Um einiges enttäuschender fand ich allerdings, dass sich Leute  zum Fußballschauen verabreden und dann ein Großteil dieser Leute während eines Großteils der Spiele in der Küche stehen um die Verpflegung zu kümmern und sich über zu anderen Zeitpunkten sicher interessante Themen zu unterhalten. Nennt mich altmodisch, aber während einer EM gibt es für mich kaum ein anderes Thema als eben dieses Turnier. Ohje, das klingt nach einem sehr eindimensionalen Menschen. Ich revidiere diese Aussage: Während einer EM gibt es zum Zeitpunkt der Spiele kein anderes Thema als eben das Geschehen auf dem Platz.

Bis heute habe ich noch nicht die perfekte Konstellation gefunden um wichtige Spiele, denen ich nicht im Stadion beiwohnen kann, angemessen sehen zu können. Mit meinen zarten 25 Jahren ist es vielleicht auch nicht schlimm, aber die Suche könnte, ginge es nach mir, langsam aber sicher zum Ende kommen. Mit dem Thema Public Viewing habe ich seit der WM 2006 abgeschlossen. Denn wie es einer der Redakteure des "Tödlichen Passes" vor kurzem sehr treffend formuliert hat: "Willst du Menschen treffen, die nichts von Fußball verstehen, musst du zum Public Viewing gehen". Es reimt sich sogar. Und alles, was sich reimt, ist gut. Wusste schon Pumuckl.

Gegen den Fußballgenuss im Kreise von guten Freunden wäre ja prinzipiell nichts einzuwenden. Wenn man allerdings wie ich einen notorisch fußballuninteressierten Freundeskreis besitzt, gestaltet sich das schon schwieriger. Während ich vergesse zu atmen, bei Elfmeterszenen fluchtartig den Raum verlassen muss, meine Fingernägel auf ein Minimum reduziere, unterhalten sich meine Freunde gerne angeregt über Spielerfrisuren, das Gesicht des Schiedsrichters, das letzte Wochenende und andere Trivialitäten, die zumeist nicht zu meinem momentanen Geisteszustand passen. Damit hier kein Missverständnis aufkommt, ich liebe meine Freunde über alles und wenn ich bis an mein Lebensende mit ihnen Fußballschauen kann,  bin ich ein glücklicher Mensch. Die Suche nach dem perfekten Fußballerlebnis außerhalb des Stadions wird dennoch weitergehen.

Donnerstag, 7. Juni 2012

EM-Tagebuch: Immer noch ein Tag

Lahm auf links, Boateng oder Schmelzer auf rechts, Mertesacker bricht Training ab, Schweinsteiger fit. Soweit die Schlagzeilen einen Tag vor Beginn der Europameisterschaft. Aber wie geht es ihnen eigentlich wirklich? Wie steht es um die Gefühlswelt von Kroos, Özil, Bender, Müller und Co.? Sind sie aufgeregt? Blöde Frage, natürlich sind sie das. Müssen sie sein. Schlafen sie gut? War Boateng vielleicht vor lauter Aufregung bis zwei Uhr nachts unterwegs? Liest sich Lahm mit seinem eigenen Buch in den Schlaf, um sich daran zu erinnern, welch ein großartiger Fußballer er ist? Telefoniert Lars Bender jeden Abend mit seinem Bruder und sagt: "Sven, holt mich hier raus. Lös mich ab. Ich halte den Druck nicht aus." Und hat überhaupt schon jemand Jens Lehmann in der Besenkammer entdeckt, der dort auf seine Chance lauert?

Ich als Fan fühle mich unterinformiert. Ich möchte wissen, ob jeder der deutschen Nationalspieler einen geregelten Stuhlgang hat. Ich möchte wissen, wer nachts weint. Und ich finde es nicht in Ordnung, dass mir keiner sagt, wie viel Zeit Jogi Löw täglich an der Taktiktafel verbringt.

Diese Fragen sind mir wichtig. Denn die EM stürzt mich in eine Gefühlschaos. Es ist nicht einfach, die Euphorie zurückzuhalten, keine Hoffnung aufkeimen zu lassen, den Optimismus unterzubuttern. Aber um nicht enttäuscht zu werden, muss ich genau das tun. Ich will nicht wieder weinend vor dem Fernseher sitzen wie an dem Tag, der nicht genannt werden darf. Wüsste ich, dass es den Spielern nicht gut geht, dass sie aufgeregt sind und sich nachts vor lauter Druck in den Schlaf weinen, der Pessimismus käme wie von selbst.

Also, liebe Spieler, twittert eure Nöte, Sorgen und Ängste. Bitte ärgert mich nicht mehr mit diesen unsäglichen "Das Wetter ist schön und wir sind gut drauf"-Nachrichten mehr. Das glaubt euch doch eh keiner.

Liebe Medien, verwanzt die Zimmer. Ich will jedes Detail. Mir egal, ob das gegen eure Ethik verstößt. Ich bin Fan. Ich bin Egoist.

EM-Tagebuch: Noch ein Tag

Langsam wird es hart. Ich kann mich der Tippspiel-Anfragen kaum noch erwehren. Es scheint als hätte jeder einzelne meiner Freunde eine Tippspiel-Runde aufgemacht. Bei den einen geht es um einen Kasten Bier, bei den anderen ist der Einsatz 20 Euro. Früher, ja da hätte ich sofort wild darauf getippt. Mein unbedarftes früheres Ich hätte sofort fröhlich nach Sympathien entschieden und natürlich verloren. Mein derzeitigen Ich hat es sich leider in den Kopf gesetzt als Sportjournalistin zu arbeiten.

In meinem nicht allzu fußball-affinen Freundeskreis gelte ich als Expertin. Das baut Druck auf. Ich zucke zusammen, wenn jemand meint, mir eine fußball-spezifische Frage stellen zu müssen. Die Angst etwas nicht beantworten zu können, begleitet mich stets. Vor großen  Turnieren ist es besonders schlimm. Denn dann interessieren sich auf einmal auch die Leute für Fußball, die ansonsten die Nase rümpfen, wenn ich mal wieder die Party mit dem Potential zur Party des Jahres sausen lasse, um mich einem Fußballspiel zu widmen. Und gerade diese Leute kommen dann mit den absurdesten Fragen um die Ecke: Wieviele Bundesligaspiele hat eigentlich Jogi Löw bestritten? Wer waren die letzten acht Europameister? Wie heißt der Co-Trainer der russischen Nationalmannschaft? (Wer alle diese Fragen richtig beantworten kann, schreibe mir bitte eine Email. Er wird ein Zeichen meiner Anerkennung erhalten.) Um mir keine Blöße zu geben, bin ich also vor großen Turnieren damit beschäftigt, mir jedes noch so kleine Detail zu jeder noch so sicher in der Vorrunde ausscheidenden Mannschaft in mein Hirn zu hämmern. Zusammen mit dem Sammeln und Kleben von Paninibildern macht das gerade einen großen Teil meiner Freizeit aus.
Und weil ich jedes noch so kleine Detail über jede noch so kleine Mannschaft weiß/wissen sollte/zumindest schon mal gehört habe, ist es für mich unmöglich geworden zu tippen.
Bis ich alle möglichen Parameter in Betracht gezogen hätte, wäre es 2014, die WM stünde vor der Tür und ich müsste wieder von vorne anfangen.

Denn es dauert, die Formkurven der Mannschaften und ihrer einzelnen Spieler anzuschauen und die Fähigkeiten des Trainers abzuwägen. Es braucht Zeit, die Verletztenlisten durchzuarbeiten. Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob ein Team als Turniermannschaft einzuschätzen ist, oder ob Griechenland damals einfach nur Glück hatte. Ist die EM im eigenen Land ein Vor- oder Nachteil für Polen und die Ukraine? Stellen die Testspiele tatsächlich eine gute Grundlage für die Bewertung der Form einer Mannschaft dar? Wie oft haben die einzelnen Mannschaften schon in der jeweiligen Formation zusammengespielt?
Ich könnte ewig so weitermachen, aber mir brummt jetzt schon der Schädel. Deshalb hier mein komplett frei von diesen Parametern getroffener EM-Tipp:

Deutschland gewinnt zwar am Samstag gegen Portugal, scheidet aber trotzdem in der Vorrunde aus. Christian Ronaldo verletzt sich im Spiel gegen Dänemark und weint sich in die Herzen der Zuschauer. Im Finale trifft England auf Griechenland, die sich im Stadion versteckt gehalten und die eigentlich für das Finale qualifizierten Spanier in einen Hinterhalt gelockt haben. Eine Abwehrschlacht entbrennt. Zuschauer verlassen in Scharen das Stadion, Bildschirme werden eingetreten, während hysterische Frauen schreien: "Mach, dass es aufhört!" Der Fußball ist tot. England ist Europameister.

EM-Tagebuch: Noch zwei Tage

Jerome Boateng, der Mann, der in nur drei Tagen dem Mann mit "dem Potential zum Weltfußballer" (eine Selbsteinschätzung von Christiano Ronaldo, welche die Bild-Zeitung ausnahmsweise passend mit "Großkotzanfall" übertitelte) gegenüber treten soll, dieser Boateng wird mit einem blonden Nacktmodel um 2 Uhr nachts in einem Hotel  gesehen. Was macht er da? Nur reden, sagt er. Ein kollektiver Aufschrei geht durch die Bundesrepublik: So ein Hallodri! Der traut sich was! Will wohl wieder nur Vize werden. Der Vize-Boateng! Das ist doch keine ordentliche Vorbereitung, Junge! Wie willst du denn da dem Ronaldo ordentlich Paroli bieten, wenn du nur das blonde Ding im Kopf hast? Was du in deiner Freizeit machst, kann mir ja eigentlich egal sein, ist es aber nicht. Also reiß dich zusammen.

Ich finde es äußerst interessant, wie sich in manchen Dingen der Fokus verschiebt. Wäre diese Geschichte zu einem anderen Zeitpunkt ans Licht gekommen, der geneigte Boulevardzeitungs-Leser hätte  sich sofort auf sein moralisches Ross begeben und mit drohend erhobenem Zeigefinger vom Verfall der Jugend gepredigt. Denn besteht nicht die eigentliche Frivolität darin, dass  ein Familienvater So ganz ungeniert mit einem Nacktmodel trifft?

Nur um klarzustellen, es könnte mir nichts egal sein, als die Freizeitgestaltung von Herrn Boateng, ich finde es nur bemerkenswert, dass das niemandem aufzufallen scheint. Stattdessen wird diskutiert, wieviel Schlaf ein Fußballer braucht um eine Top-Leistung auf dem Platz abzuliefern, bei einem Spiel, das zum Zeitpunkt der Bilder noch 6 Tage in der Zukunft liegt.

Vor meinem geistigen Auge sehe ich Mario Basler leise lächeln. Die Jungen heutzutage haben es nicht leicht, denkt er. Denen wird ganz schön auf die Finger geschaut. Das war bei mir noch anders. Der Berti Vogts weiß ja bis heute nicht, dass ich damals wie ein Schott geraucht habe.