Also ich muss schon sagen, diese EM hält wirklich keine großen Überraschungen bereit. Der einzige "Aussenseiter", Griechenland, wurde von der deutschen Mannschaft aus dem Turnier gekegelt. "We paid for your tickets", sollen die deutschen Fans ihren griechischen Gegenstücken laut englischer Presse an den Kopf gesungen haben. Auch das ist wenig überraschend.
Die englische Mannschaft jedoch übertrifft was das Erfüllen von Erwartungen angeht, alle Erwartungen. Sie tut nämlich genau das, was von einer englischen Nationalmannschaft erwartet. Vor jedem großen Turnier übertreffen sich die englischen Medien mit Tiefstapelei. Jedes noch so kleine Detail, das gegen einen Erfolg der "three lions" sprechen könnte, wird herausgesucht, jede noch so unwichtige Statistik bemüht. Die englische Mannschaft startet dann holprig, jedoch bemüht in das Turnier und gewinnt mindestens zwei der drei Gruppenspiele. Glücklich zwar, aber immerhin.
Genau dieses Glück stimuliert im Gegenzug die Presse ihren Kurs zu ändern. Vielleicht hat all die Jahre einfach das Glück gefehlt? Das wäre eine Erklärung, denn man hatte ja nie eine schlechte Mannschaft. In einem Londoner Pub wird mir erklärt, das Glück komme immer gebündelt. Erst habe man sich gegen Frankreich im Rennen um die Olympischen Spiele durchgesetzt, dann gewinnt mit dem FC Chelsea eine englische Mannschaft die Champions League (es schmerzt immer noch) - der Gewinn der Europameisterschaft wäre nur eine logische Konsequenz dieses "streak of luck".
Womit wir am Tag des Viertelfinales angekommen sind. Es geht gegen Italien. Ein Team, das bisher auch nicht glänzen konnte, aber immerhin einen großen Namen hat - so jedenfalls die gängige Meinung auf den Straßen Londons. Die Stimmung ist angespannt. Zuviel Optimismus wird so kurz vor Anpfiff dann doch nicht gerne gesehen. Auch die BBC, die das Spiel überträgt, versucht sich als Stimmungsdämpfer. Zu Beginn werden all jene Bilder gezeigt, die Englands Ausscheiden in diversen Viertelfinals der EM zeigt. Man sieht weinende Männer, leere Blicke, verschossene Elfmeter. Fast möchte man weinen. Dann ein Lichtblick. Der Moderator kündigt Bilder der Triumphe an. Doch im selben Atemzug folgt der Dämpfer: "We had to go a bit further back into the past for that." England hatte also seine "glory days", sie liegen nur wahnsinnig weit in der Vergangenheit. So erzeugt man Euphorie.
Niemand singt im Pub. Es sind leise Stimmen zu hören. Die Chancen der Engländer werden mit dem nötigen Ernst diskutiert. Die kleine italienische Meute, die sich ebenfalls im Pub eingefunden hat, macht einen deutlich optimistischeren Eindruck. Jürgen Klinsmann ist Experte im englischen Fernsehen. Sachen gibt's.
Dann beginnt das Spiel. Nach den ersten 45 Minuten hat man das Gefühl, für England wäre tatsächlich noch alles drin. Rooney & Co. spielen überraschend gut. Doch schon in Hälfte zwei, so um die 60. Minute herum, geben sie das Spiel aus der Hand. Es wird mir immer ein Rätsel bleiben, weshalb Mannschaften manchmal einfach aufhören Fußball zu spielen. Ohne ersichtlichen Grund. Einfach so.
Englands Trainer Roy "die Eule" Hodgson versucht dem Elend entgegenzusteuern. Eigentlich als "saftey-first-Roy" verschrien, bringt der sonst so sicherheitsbewusste Hodgson Offensivkraft um Offensivkraft auf das Feld. Doch auch Carroll und Walcott können nicht verhindern, dass England in das gefürchtete Elfmeterschießen muss. Und dabei können sie eigentlich noch von Glück reden. Wie es ein italienischer Fan sehr treffend beschrieben hat: "When they had the ball, they looked like ladies going shopping. They didn't run anymore." Ein Zug zum Tor sieht in der Tat anders aus. Klinsmann macht übrigens die fehlende Fitness verantwortlich. Aber auch das ist nicht überraschend.
Das Ende vom Lied: England verliert im Elfmeterschießen, wie sie schon so viele Elfmeterschießen verloren haben. Die englischen Fans verlassen fluchtartig das Pub, während die Italiener mit südländischer Ausgelassenheit feiern. Im Weggehen raunt mir ein Engländer zu: "I'm supporting Germany now..."
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