Es war, wie alles bei dieser EM, sehr vorhersehbar. Die deutsche Mannschaft scheidet gegen Italien aus, im Halbfinale und in Deutschland bricht, angefeuert von den fröhlichen Schreiberlingen der Sensationsmedienzunft und den noch fröhlicheren Experten der Fußballwelt, die unvermeidliche Trainerdiskussion los. Der bis dahin allseits geschätzte, überaus beliebte, omnipräsente Bundes-Jogi soll jetzt auf einmal nicht mehr gut genug sein. Und das wegen "völlig unverständlichen" (Zitat des mistgabel-schwingenden Mobs) Wechseln in der Aufstellung des Italien-Spiels.
Kurz zur Erinnerung:: Anstelle von Klose spielte Mario Gomez, zweitbester Torschütze der Bundesliga.So ganz kann ich nicht verstehen, wie dieser Wechsel Kritik hervorrufen kann, aber irgendwie will scheinbar niemand den Gomez für die Nationalmannschaft stürmen sehen. Vermutlich liegt es daran, dass er so gut aussieht.
Wechsel Nummer zwei: Podolski statt Reus. Das ist für mich ein viel grundsätzlicheres Problem. Warum Podolski trotz seit Jahren eher mittelmäßigen, jedenfalls nicht überragenden Leistungen beim Fahrstuhl-Verein seines Herzens stets ohne auch nur einen Hauch von Gegenwind wieder und wieder für die Nationalmannschaft nominiert wird, erschließt sich mir kaum. Ich habe ein bisschen das Gefühl, Löws Festhalten an Prinz Poldi hängt mehr mit einem romantisierten Sommermärchen-Nostalgiegefühl zusammen, als mit der tatsächlichen Leistung auf dem Platz.
Wechsel Nummer drei: Kroos statt Schürrle statt Müller. Bei diesem Wechsel sehe ich überhaupt kein Problem. Müller hat in Ordnung gespielt (im Vergleich zu seinen fulminanten Auftritten 2010 natürlich ein Schatten seiner selbst, aber trotzdem ok), Schürrle war definitiv stärker, aber überragend ist auch was anderes. Man kann es Löw nun wirklich nicht übel nehmen gegen die Italiener zumindest auf einer Position auf den Überraschungseffekt zu setzen. Und Kroos hat seinen Einsatz durch seine konstant guten Leistungen beim FC Bayern in dieser Saison durchaus gerechtfertigt. Der Kerl ist immerhin dreimal Zweiter geworden, so schlecht kann der nicht sein.
Was man Jogi Löw tatsächlich anlasten kann, ist - und wie sehr schmerzt es mich als Bayern-Fan das zugeben zu müssen - wie wenig Chancen er den jungen Dortmundern gegeben hat. Ich hätte gerne mehr von Götze und auch Bender gesehen. Reus, den ich ab sofort auch zu den Dortmundern zähle, gehört zwar eindeutig zu den Gewinnern des Turniers, hätte aber gerade deshalb noch mehr Einsatzzeiten verdient gehabt.
Mmmmmhhhhh, hatte ich vorher "kurz zur Erinnerung" geschrieben? Ich meinte natürlich: lang und ausführlich und voller Subjektivität zur Erinnerung.
Dann fass ich mich jetzt einfach kurz: Ich finde es ist eine Unart, Trainer in einem Moment hochzujubeln und im nächsten zu verteufeln. Ich finde Jogi Löw sollte bleiben, denn ein verloren gegangenes Spiel alle zwei Jahre rechtfertigt noch keine Kündigung - so schmerzhaft diese Niederlagen für eine Nation, die so gerne im Glanze dieses Glückes blühen würde, auch sein mögen.
Und mal ganz davon abgesehen, will ich gar nicht wissen, wie viel Geld es den DFB kosten würde, Löw und seinen Trainerstab vorzeitig zu entlassen.
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Sonntag, 1. Juli 2012
Donnerstag, 7. Juni 2012
EM-Tagebuch: Immer noch ein Tag
Lahm auf links, Boateng oder Schmelzer auf rechts, Mertesacker bricht Training ab, Schweinsteiger fit. Soweit die Schlagzeilen einen Tag vor Beginn der Europameisterschaft. Aber wie geht es ihnen eigentlich wirklich? Wie steht es um die Gefühlswelt von Kroos, Özil, Bender, Müller und Co.? Sind sie aufgeregt? Blöde Frage, natürlich sind sie das. Müssen sie sein. Schlafen sie gut? War Boateng vielleicht vor lauter Aufregung bis zwei Uhr nachts unterwegs? Liest sich Lahm mit seinem eigenen Buch in den Schlaf, um sich daran zu erinnern, welch ein großartiger Fußballer er ist? Telefoniert Lars Bender jeden Abend mit seinem Bruder und sagt: "Sven, holt mich hier raus. Lös mich ab. Ich halte den Druck nicht aus." Und hat überhaupt schon jemand Jens Lehmann in der Besenkammer entdeckt, der dort auf seine Chance lauert?
Ich als Fan fühle mich unterinformiert. Ich möchte wissen, ob jeder der deutschen Nationalspieler einen geregelten Stuhlgang hat. Ich möchte wissen, wer nachts weint. Und ich finde es nicht in Ordnung, dass mir keiner sagt, wie viel Zeit Jogi Löw täglich an der Taktiktafel verbringt.
Diese Fragen sind mir wichtig. Denn die EM stürzt mich in eine Gefühlschaos. Es ist nicht einfach, die Euphorie zurückzuhalten, keine Hoffnung aufkeimen zu lassen, den Optimismus unterzubuttern. Aber um nicht enttäuscht zu werden, muss ich genau das tun. Ich will nicht wieder weinend vor dem Fernseher sitzen wie an dem Tag, der nicht genannt werden darf. Wüsste ich, dass es den Spielern nicht gut geht, dass sie aufgeregt sind und sich nachts vor lauter Druck in den Schlaf weinen, der Pessimismus käme wie von selbst.
Also, liebe Spieler, twittert eure Nöte, Sorgen und Ängste. Bitte ärgert mich nicht mehr mit diesen unsäglichen "Das Wetter ist schön und wir sind gut drauf"-Nachrichten mehr. Das glaubt euch doch eh keiner.
Liebe Medien, verwanzt die Zimmer. Ich will jedes Detail. Mir egal, ob das gegen eure Ethik verstößt. Ich bin Fan. Ich bin Egoist.
Ich als Fan fühle mich unterinformiert. Ich möchte wissen, ob jeder der deutschen Nationalspieler einen geregelten Stuhlgang hat. Ich möchte wissen, wer nachts weint. Und ich finde es nicht in Ordnung, dass mir keiner sagt, wie viel Zeit Jogi Löw täglich an der Taktiktafel verbringt.
Diese Fragen sind mir wichtig. Denn die EM stürzt mich in eine Gefühlschaos. Es ist nicht einfach, die Euphorie zurückzuhalten, keine Hoffnung aufkeimen zu lassen, den Optimismus unterzubuttern. Aber um nicht enttäuscht zu werden, muss ich genau das tun. Ich will nicht wieder weinend vor dem Fernseher sitzen wie an dem Tag, der nicht genannt werden darf. Wüsste ich, dass es den Spielern nicht gut geht, dass sie aufgeregt sind und sich nachts vor lauter Druck in den Schlaf weinen, der Pessimismus käme wie von selbst.
Also, liebe Spieler, twittert eure Nöte, Sorgen und Ängste. Bitte ärgert mich nicht mehr mit diesen unsäglichen "Das Wetter ist schön und wir sind gut drauf"-Nachrichten mehr. Das glaubt euch doch eh keiner.
Liebe Medien, verwanzt die Zimmer. Ich will jedes Detail. Mir egal, ob das gegen eure Ethik verstößt. Ich bin Fan. Ich bin Egoist.
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EM-Tagebuch: Noch ein Tag
Langsam wird es hart. Ich kann mich der Tippspiel-Anfragen kaum noch erwehren. Es scheint als hätte jeder einzelne meiner Freunde eine Tippspiel-Runde aufgemacht. Bei den einen geht es um einen Kasten Bier, bei den anderen ist der Einsatz 20 Euro. Früher, ja da hätte ich sofort wild darauf getippt. Mein unbedarftes früheres Ich hätte sofort fröhlich nach Sympathien entschieden und natürlich verloren. Mein derzeitigen Ich hat es sich leider in den Kopf gesetzt als Sportjournalistin zu arbeiten.
In meinem nicht allzu fußball-affinen Freundeskreis gelte ich als Expertin. Das baut Druck auf. Ich zucke zusammen, wenn jemand meint, mir eine fußball-spezifische Frage stellen zu müssen. Die Angst etwas nicht beantworten zu können, begleitet mich stets. Vor großen Turnieren ist es besonders schlimm. Denn dann interessieren sich auf einmal auch die Leute für Fußball, die ansonsten die Nase rümpfen, wenn ich mal wieder die Party mit dem Potential zur Party des Jahres sausen lasse, um mich einem Fußballspiel zu widmen. Und gerade diese Leute kommen dann mit den absurdesten Fragen um die Ecke: Wieviele Bundesligaspiele hat eigentlich Jogi Löw bestritten? Wer waren die letzten acht Europameister? Wie heißt der Co-Trainer der russischen Nationalmannschaft? (Wer alle diese Fragen richtig beantworten kann, schreibe mir bitte eine Email. Er wird ein Zeichen meiner Anerkennung erhalten.) Um mir keine Blöße zu geben, bin ich also vor großen Turnieren damit beschäftigt, mir jedes noch so kleine Detail zu jeder noch so sicher in der Vorrunde ausscheidenden Mannschaft in mein Hirn zu hämmern. Zusammen mit dem Sammeln und Kleben von Paninibildern macht das gerade einen großen Teil meiner Freizeit aus.
Und weil ich jedes noch so kleine Detail über jede noch so kleine Mannschaft weiß/wissen sollte/zumindest schon mal gehört habe, ist es für mich unmöglich geworden zu tippen.
Bis ich alle möglichen Parameter in Betracht gezogen hätte, wäre es 2014, die WM stünde vor der Tür und ich müsste wieder von vorne anfangen.
Denn es dauert, die Formkurven der Mannschaften und ihrer einzelnen Spieler anzuschauen und die Fähigkeiten des Trainers abzuwägen. Es braucht Zeit, die Verletztenlisten durchzuarbeiten. Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob ein Team als Turniermannschaft einzuschätzen ist, oder ob Griechenland damals einfach nur Glück hatte. Ist die EM im eigenen Land ein Vor- oder Nachteil für Polen und die Ukraine? Stellen die Testspiele tatsächlich eine gute Grundlage für die Bewertung der Form einer Mannschaft dar? Wie oft haben die einzelnen Mannschaften schon in der jeweiligen Formation zusammengespielt?
Ich könnte ewig so weitermachen, aber mir brummt jetzt schon der Schädel. Deshalb hier mein komplett frei von diesen Parametern getroffener EM-Tipp:
Deutschland gewinnt zwar am Samstag gegen Portugal, scheidet aber trotzdem in der Vorrunde aus. Christian Ronaldo verletzt sich im Spiel gegen Dänemark und weint sich in die Herzen der Zuschauer. Im Finale trifft England auf Griechenland, die sich im Stadion versteckt gehalten und die eigentlich für das Finale qualifizierten Spanier in einen Hinterhalt gelockt haben. Eine Abwehrschlacht entbrennt. Zuschauer verlassen in Scharen das Stadion, Bildschirme werden eingetreten, während hysterische Frauen schreien: "Mach, dass es aufhört!" Der Fußball ist tot. England ist Europameister.
In meinem nicht allzu fußball-affinen Freundeskreis gelte ich als Expertin. Das baut Druck auf. Ich zucke zusammen, wenn jemand meint, mir eine fußball-spezifische Frage stellen zu müssen. Die Angst etwas nicht beantworten zu können, begleitet mich stets. Vor großen Turnieren ist es besonders schlimm. Denn dann interessieren sich auf einmal auch die Leute für Fußball, die ansonsten die Nase rümpfen, wenn ich mal wieder die Party mit dem Potential zur Party des Jahres sausen lasse, um mich einem Fußballspiel zu widmen. Und gerade diese Leute kommen dann mit den absurdesten Fragen um die Ecke: Wieviele Bundesligaspiele hat eigentlich Jogi Löw bestritten? Wer waren die letzten acht Europameister? Wie heißt der Co-Trainer der russischen Nationalmannschaft? (Wer alle diese Fragen richtig beantworten kann, schreibe mir bitte eine Email. Er wird ein Zeichen meiner Anerkennung erhalten.) Um mir keine Blöße zu geben, bin ich also vor großen Turnieren damit beschäftigt, mir jedes noch so kleine Detail zu jeder noch so sicher in der Vorrunde ausscheidenden Mannschaft in mein Hirn zu hämmern. Zusammen mit dem Sammeln und Kleben von Paninibildern macht das gerade einen großen Teil meiner Freizeit aus.
Und weil ich jedes noch so kleine Detail über jede noch so kleine Mannschaft weiß/wissen sollte/zumindest schon mal gehört habe, ist es für mich unmöglich geworden zu tippen.
Bis ich alle möglichen Parameter in Betracht gezogen hätte, wäre es 2014, die WM stünde vor der Tür und ich müsste wieder von vorne anfangen.
Denn es dauert, die Formkurven der Mannschaften und ihrer einzelnen Spieler anzuschauen und die Fähigkeiten des Trainers abzuwägen. Es braucht Zeit, die Verletztenlisten durchzuarbeiten. Es ist nicht leicht zu entscheiden, ob ein Team als Turniermannschaft einzuschätzen ist, oder ob Griechenland damals einfach nur Glück hatte. Ist die EM im eigenen Land ein Vor- oder Nachteil für Polen und die Ukraine? Stellen die Testspiele tatsächlich eine gute Grundlage für die Bewertung der Form einer Mannschaft dar? Wie oft haben die einzelnen Mannschaften schon in der jeweiligen Formation zusammengespielt?
Ich könnte ewig so weitermachen, aber mir brummt jetzt schon der Schädel. Deshalb hier mein komplett frei von diesen Parametern getroffener EM-Tipp:
Deutschland gewinnt zwar am Samstag gegen Portugal, scheidet aber trotzdem in der Vorrunde aus. Christian Ronaldo verletzt sich im Spiel gegen Dänemark und weint sich in die Herzen der Zuschauer. Im Finale trifft England auf Griechenland, die sich im Stadion versteckt gehalten und die eigentlich für das Finale qualifizierten Spanier in einen Hinterhalt gelockt haben. Eine Abwehrschlacht entbrennt. Zuschauer verlassen in Scharen das Stadion, Bildschirme werden eingetreten, während hysterische Frauen schreien: "Mach, dass es aufhört!" Der Fußball ist tot. England ist Europameister.
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