Es ist geschafft. Die Angst, die Anspannung, die Befürchtungen alles abgelöst von einem einzigen Gefühl: rot-grün-weiße Glückseligkeit.
Strahlend blauer Himmel begleitet unsere Reise vom Wittelsbacher Land in die Stätte der Hoffnung: die Impuls-Arena. Das weiße Trikot frisch gewaschen, den Schal um das Handgelenk geschwungen, so reihen wir uns in die Reihe der anderen Pilger ein. Die Stimmung ist angespannt. Niemand singt, niemand schreit. Es wird leise diskutiert über die möglichen Ausgangsszenarien des Spieltags, über den 1:8 Sieg des FC Bayern über St. Pauli - ein Schicksal, das dem FC Augsburg im Falle des Aufstiegs auch drohen könnte -, über die Problematik die Mutter am Muttertag wegen eines Fußballspiels zu versetzen. Vielleicht liegt es auch nicht in der Natur des Schwaben ungelegte Eier zu feiern, vielleicht erinnert sich der ein oder andere auch an die letzte Saison, in der der Aufstieg knapp verfehlt wurde.
Nachdem man das Drehkreuz passiert hat, schlägt das Herz des sparsamen Schwaben höher: Fahnen, für umsonst! 30000 Fahnen werden verteilt. Das ganze Stadion ein einziges Fahnenmeer. Sogar die Gästetribüne ist an diesem Tag in Augsburger Hand. Der FSV Frankfurt bringt gefühlte 12 Fans mit nach Augsburg, die von gefühlten 50 Securities bewacht werden, aber dennoch mutig ihre zwei Fahnen schwingen. Die Plätze im O-Block werden gesichert, die Getränke geholt, das frisch gewaschene weiße Trikot im Gedränge mit einer Mischung aus Bier, Radler und Cola durchtränkt. Dann werden zum ersten Mal die Fahnen herausgeholt und das Haller-luhja klingt aus ca. 1000 Kehlen. Die Impuls-Arena ist nicht das meist-ausverkaufte Stadion der Liga und die meisten Menschen, die sich heute hier versammelt haben, kennen das Kult-Lied des FC Augsburg zu Ehren des ewigen Helden Helmut Haller gar nicht. Dafür schwingen sie ihre Fahnen umso enthusiastischer und so sei ihnen ihre Textunkenntnis verziehen. Die FCA-Hymne wird dann noch enthusiastischer mitgesungen, v.a. die "schöne Stadt" wird zelebriert. Man ist stolz aus Augsburg zu kommen, und das nicht nur wegen Bertold Brecht und der Puppenkiste, sondern wegen Männern wir Uwe Möhrle, Michael Thurk, Nando Rafael, Simon Jentzsch und Jos Luhukay.
Es wird angepfiffen. Jetzt heißt es 90 Minuten höchste Konzentration. Bei Mannschaft und bei Fans. Der M-Block stimmt ein Lied nach dem anderen an. Es dauert jedoch nur so ziemlich genau 120 Sekunden, da verstummt das Stadion. Sankoh leistet sich einen Bock auf Höhe der Mittellinie, Kapitän Uwe Möhrle versucht den Faux-Pas des Mitspielers auszugleichen und säbelt dabei den Frankfurter Mölders im Strafraum um. Kempter, der Schiedsrichter des heutigen Tages, deutet auf den Elfmeterpunkt. "Simon, Simon" - Anfeuerungsrufe für Keeper Simon Jentzsch verhallen im Stadion als Gjasula den Ball zum 0:1 unhaltbar versenkt. Der Rest ist Schweigen, ungläubiges Kopfschütteln, kurze Verzweiflung. Ist der Traum bereits vorbei? Dann schleicht sich ein leiser Gedanke ein: Moment mal, es sind gerade mal 3 Minuten gespielt. Es ist noch nichts verloren. Der M-Block stimmt das nächste Lied an und man besinnt sich wieder darauf, die Mannschaft nach vorne zu peitschen.
Und die Bemühungen tragen Früchte. In der 14. Minute egalisiert Michael Thurk, dessen Rückennummer ich nun umso stolzer auf dem Rücken trage, die Führung der Frankfurter. Der Rest ist Schreien, Umarmungen, die Faust in die Luft recken, High-Fives verteilen, zu Eine Insel mit zwei Bergen tanzen und dann langsam wieder in die Realität zurück finden. Es fehlt ja noch ein Tor zur endgültigen Erlösung. Schnell ist die Euphorie über den Ausgleich im Block O wieder verschwunden. Sie wird abgelöst von einer Ernüchterung, die mit jeder vergebenen Chance, mit jeder ertraglosen Ecke, mit jeder fragwürdigen Schiedsrichterentscheidung größer wird. Vor allem die Eckballstatistik - beim Abpfiff 14:1 für den FCA - lässt den ein oder anderen zum Zyniker werden. 'Regelverbesserungen' werden vorgeschlagen: 3 Ecken = 1 Elfmeter. Ja, wenn es doch nur so wäre!
Dann, die 85. Minute. Der eingewechselte Stephan Hain erlöst mich, erlöst die Leute um mich herum, erlöst ganz Augsburg. Der Ball ist im Tor. Gerne würde ich beschreiben, was ich gefühlt habe. Geht aber leider nicht. Blackout nämlich. Purer Euphorie-Blackout. Aber es war gut. Sehr gut.
Sehr pünktlich pfeift Kempter die Partie ab. Ein guter Mann. Dann stürmen Fans das heilige Grün. Die Spieler liegen übereinander. Luhukay läuft Slalom auf dem Rasen. Im M-Block drücken die Leute von hinten, sodass ein Tor geöffnet werden muss. Der Stadionsprecher bittet darum zurückzubleiben und nicht weiter zu drücken. Ich fühle mich an Stadionkatastrophen wie Hillsborough 1989 erinnert. Aber ich habe auch einen Hang zum Dramatischen. An diesem perfekten Tag geht alles gut aus. Den Leuten auf dem Rasen wird ein Aufstiegsshirt geschenkt, dann werden sie von der Polizei vom Rasen geleitet um für die Mannschaft Platz zu machen, die nun endlich auch mit der den Stehrängen feiern kann. Und wie sie feiern. Und wie wir feiern. Und wie alle feiern.
Dann verschwindet die Mannschaft in den Katakomben des Stadions und wir machen uns auf den Heimweg. Noch schnell den Aufstiegsschal gekauft, kurz die Gesichtsmuskeln vom vielen Grinsen entspannt und dann ab nach Hause nach München. Mit so viel Freude im Herzen macht es auch nichts aus, dass man auf dem Heimweg noch ein bisschen von einem frustrierten 1860 Fan angegrantelt wird. Es ist Aufstieg!