In Norwegen richtet ein Mann 76 Menschen hin. Und das, um möglichst große Öffentlichkeit für ein Manifest zu bekommen, dass sich wohl zu gleichen Teilen aus Menschenverachtung und rechtem, verblendetem Gedankengut zusammensetzt. In London stirbt eine der begabtesten Musikerinnen unserer Zeit an sich selbst. Die Loveparade-Katastrophe jährt sich zum ersten Mal. 21 Menschen, die ihr Leben aufgrund individueller Fehler und Fehleinschätzungen gelassen haben. Es läuft vieles falsch in der Welt und dieses Wochenende hat uns wieder einiges vor Augen geführt. Ich fühle mich schlecht, dass ich trotzdem wissen möchte, wer in der zweiten Bundesliga gegen wen gewonnen hat und ob Uruguay Paraguay im Copa America besiegt hat. Ich fühle mich schlecht, dass ich morgen zum Audi-Cup gehe. Ich fühle mich schlecht, dass mir dieses triviale Spiel so viel bedeutet, dass es mich für Momente vergessen lässt, was den Rest der Welt bewegt.
Andererseits bin ich froh, dass es diesen Mechanismus in meinem System gibt. In Zeiten, in denen alles schwarz war, in denen nichts mich getröstet hat, habe ich trotzdem Fußball geschaut. Teilweise habe ich von Spieltag zu Spieltag gelebt. Ich weiß nicht, was ich in der restlichen Zeit gemacht habe, aber ich habe mich auf jedes Spiel gefreut. Fußball, Sport im Allgemeinen, Musik, alles, was Menschen bewegt, zum Diskutieren anregt, kann eine Flucht sein, vor Trauer, vor Depression, vor Lethargie. Fußball kann eine Strategie zur Bewältigung sein. Das ist meine Überzeugung. Allerdings muss dafür natürlich schon zuvor das Interesse groß gewesen sein. Bei weitem nicht jeder kann etwas mit dieser, zugegeben äußerst ideologischen Art der Selbsttherapie etwas anfangen. Für Fußballfans jedoch bietet sich ein Fußballspiel an, um wieder unter Leute zu kommen, sich mal wieder über den Schiedsrichter/Trainer/Spieler aufzuregen, anstatt über das eigene Leben.
Mir hat Fußball geholfen, wieder Spaß zu haben. Allerdings hatte ich das Glück, dass sich meine persönliche Tragödie in einem Zeitraum abgespielt hat, in dem der FC Bayern das Finale der Championsleague erreichte und die deutsche Nationalmannschaft bei der WM in Südafrika sowohl England, als auch Argentinien dermaßen abfertigte, dass es eine Sünde gewesen wäre, nicht über das ganze Gesicht zu grinsen. In einer bayerischen Klinsmann-Saison hätte das ganze wohl anders ausgesehen.
Problematisch wird es allerdings, wenn man tatsächlich nur noch für den Fußball lebt. Wenn man für immer von Spieltag zu Spieltag lebt. Wenn die einzigen Leute, die man noch trifft, die anderen Dauerkartenbesitzer in der Kurve sind. Wenn keine Meinung neben der des Vereins mehr gehört wird. Wenn man zu Uwe Ochsenknecht in dem ganz wundervollen Film "Fußball ist unser Leben" wird. Aber dafür sind wohl vor allem Männer anfällig.
Ich wünsche den Überlebenden, den Familien und Freunden der Opfer des Massakers von Norwegen, dass sie miteinander die Kraft finden, diese Tragödie durchzustehen und sie irgendwann wieder etwas finden, das ihnen die Freude am Leben zurückgibt.
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